Interview mit einem „digital native“ Hamburg und Berlin

Anja Assion hat auf telemedicus einer 14jährigen gymnasiastin fragen gestellt.

Felix hat sich gedacht, die Fragen kann man sich auch selbst beantworten, schliesslich kennt er sich mit dem Internet-gedöns auch ein bisschen aus.

Dieses Internetz-Dings finde ich soweit ebenfalls ganz knorke, daher rede ich ein wenig mit mir selbst.

Hier also die bei Anja geklauten und von Felix teilweise aufgemöbelten Fragen mit meinen Antworten:

Sven, deine Generation wird als „Digital Natives” bezeichnet. Sagt dir dieser Begriff etwas?

Digital, ja, das kenne ich, kann man am Lichtschalter im Bad, wahlweise auch in der Küche spielen. An- aus. Geht auch mit einer Taschenlampe, dann bin ich sogar ein digital native mobile. Digital Natives ist eigentlich totaler bollogs. Eben war ich noch „Generation upload“, dann „generation download“, wahlweise auch „generation gameboy, C64, Golf, Digitaluhr, Turnschuh, Umhängetasche oder Laptop“. Digital Natives sind wohl die Leute, die mit dem Internet groß geworden sind und für die Videospielkultur und der ganze Onlinekram gleichberechtigt neben Zeitungen, Kino, Büchern, TV und Radio steht.

Du bist 33 Jahre alt und hast natürlich auch einen eigenen Computer. Seit wann besitzt du ihn und musst nicht mehr den Familien-PC benutzen?

Einen eigenen Computer habe ich seit meinem 10. Geburtstag – ich bekam als einer der letzten im Freundeskreis einen C64 geschenkt. Der war noch mit Datasette und im halb- bis jahrestakt wird seitdem die Technik aktualisiert. Diskettenlaufwerk, Farbmonitor, neue Joysticks. Papa kaufte sich einen PC von Schneider Namens „Joyce“, ein 386, ich wechselte über zum Amiga 500. Gameboy, Megadrive, SNES kamen irgendwann, ich träumte vom Neo Geo, kannte aber jemanden, der so ein Ding hatte.

Ich habe Kiloweise Handbücher für Windows 3.11 und Word (irgendwas ganz altes) gelesen, versucht die Buchhaltung im Familienbetrieb auf den Rechner zu heben (hat geklappt), am neuen Arbeits-PC (486 – wow) vom Papa absolute mind-blowing-Erlebnisse mit System Shock und Wing Commander gehabt, wechselte vom Amiga 500 auf den Amiga 1200, kaufte ein Modem, die Playstation zog ins Haus, ich nach Berlin, da dann ein PC, Pentium irgendwas, irgendwann gab es DSL anstatt ISDN, neuer PC, nochmal neuer PC, irgendwann ein ALDI-Laptop (läuft heute, nach über 6 Jahren immer noch), Nintendo Gamecube, Gameboy Advance, Nintendo DS, Nintendo Wii, schnelles Laptop von Dell und zwischendrin immer wieder wechselnde Rechner am Arbeitsplatz.

Ich nutze immer mehr das Handy zum lesen von Onlinekram. Einen Familien-PC gab es in diesem Sinne bei mir noch nie.

Wo bewegst du dich denn im Internet? Hast du eine eigene Homepage bzw. einen Blog?

Ich schreibe seit Jahren Stuss in dieses Blog, besitze noch ein paar andere Blogs, eine Homepage hatte ich noch nie. Ich bin den ganzen Tag online, daher macht eine Liste mit „wo bewegst du dich“ allein aus Platzgründen keinen Sinn. Einen groben Überblick über „Sven im Internet“ bekommt man auf meiner Friendfeedseite oder auf meinem XING-Profil.
MeinVZ will ich nicht kennen, die deutsche Wikipedia finde ich inzwischen doof und in Foren bin ich sehr selten aktiv.

Und wie schaut bei dir ein normaler Tag – in Bezug auf das Internet – aus? Kannst du deinen Tagesablauf beschreiben, also wie oft du am Tag E-Mails, Facebook- oder Twitter-Mitteilungen checkst?

Ich lasse mich vom Handy wecken und wanke nach dem üblichen morgendlichen Pflegekram aus dem Haus und Laufe 10 Minuten zur U-Bahn. Wenn es nicht regnet, lese ich dabei meine Mails auf dem Handy und versuche mich mit m.spiegel.de, Google News, Welt kompakt, Telepolis und einigen anderen auf dem Laufenden zu halten. Die Nachrichtenwebseiten schaffe ich während der Zigarette, die ich im Laufen rauche. Die restlichen 30 Minuten U-Bahnfahrt lese ich meinen Google Reader leer. Ich schreibe zwischendurch Stuss auf Twitter, meistens lüge ich mir da einen zurecht, manchmal auch nicht, in der U-Bahn passiert genügend Stuss, den ich twittern kann.

Auf Arbeit surfe ich dann 8 Stunden lang im Internet. Ich arbeite gleich vor zwei Rechnern, kümmere mich um hunderte Webseiten, schreibe Zeug, diskutiere, Bespreche, Telefoniere, ärger mich über Technik, lege zahlreiche Bookmarks zum später lesen ab, lese sie nie, surfe rum, schreibe Zeug ins Blog, lade Fotos auf Flickr, manchmal auf Twitpic, beantworte und lese viel zu viele Mails und versuche den Admin zu bestechen.

Nach Feierabend mache ich manchmal Podcasts, verabrede mich über Twitter zum Bier, fahre nach Hause, lese meinen Feed-Reader leer, zwischendurch schaue ich auf Rivva.de, popurls.com oder techmeme.com vorbei und schwupps, ist ein wieder ein Tag rum.

Das Internet wird dann von der anderen Seite der Welt mit Zeug gefüllt, dass ich dann am nächsten morgen wieder weglesen kann.

Welche Rolle spielt das Internet auf der Arbeit? Habt ihr auf der Arbeit Computer mit Internetzugang und lernt ihr gezielt mit dem Internet zu arbeiten, also beispielsweise darin zu recherchieren? Und werdet/wurdet ihr auf der Arbeit von euren Vorgesetzten darüber aufgeklärt, was ihr im Internet dürft und was nicht?

Jeder meiner über 2.000 Kollegen hat einen Computer und alle sind online, unsere Arbeit spielt sich zum grossen Teil im Internet ab. Die meisten Resourcen die ich zur Arbeit benötige finde ich im Internet, hätte ich kein Internet, wäre ich wie ein Förster ohne Wald oder ein Metzger auf dem mond — völlig hilflos.

Meine Eltern und Freunde haben mir beigebracht, was ich darf und was nicht, das gilt auch für das Internet.

Einige Gerichte haben entschieden, dass Eltern haften und Schadensersatz bezahlen müssen, wenn ihre Kinder im Internet das Recht verletzen. Denn Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren können in vielen Fällen noch nicht belangt werden. Beaufsichtigst du deine Kinder, wenn sie im Internet sind? Und hast du deine Kinder über „richtiges Verhalten” im Internet geredet?

Ja, ich habe mit ihm geredet, aber mit seinen 11 Monaten findet er es deutlich spannender in die Tastatur zu beissen und die Tasten rauszureissen als sich im Netz zu bewegen.

Später wird er vielleicht extrem viel mehr Ahnung vom Internetz haben als die meisten seiner Schulfreunde. Vielleicht auch nicht, wer weiß. Dafür ist es noch zu früh.

Was verstehst du persönlich – unabhängig von der Meinung deiner Kollegen, Freunde oder anderen – unter „richtigem Verhalten” im Netz?

hm. ich verstehe die frage nicht. Ruhig bleiben, nicht sofort den Anwalt anrufen, auf andere Rücksicht nehmen? Richtiges Verhalten ist so eine Sache, das klappt in der Masse gesehen noch nicht mal auf der Autobahn mit echt überschaubaren Regeln. Ich wurde noch nie abgemahnt, habe noch nie eins auf die Fresse bekommen für mein Blog, wurde noch nie dafür gefeuert, also habe ich wohl bislang alles richtig gemacht.

Beziehst du Musik und Filme aus dem Internet? Kostet das Herunterladen dann etwas und machst du das auch schonmal illegal?

Nein. Ja. Nein. Blöde Frage.

Hast du eine Vorstellung warum das Kopieren von Musik und Filmen im Internet in vielen Fällen nicht erlaubt ist? Findest du es richtig, dass das Hoch- und Herunterladen in den meisten Fällen nicht erlaubt ist?

Ja, habe ich. Blöde Frage.

Sollte man deiner Meinung nach alles, was im Internet verfügbar ist, auch frei nutzen dürfen? Oder kannst du auch die Urheber verstehen, die das nicht möchten?

Nein, man sollte nicht alles frei nutzen können. Ich wöllte das nicht. Auf diese ganze Urheberrechtskacke habe ich keine Lust, damit sollen sich andere beschäftigen. Ich wäre aber froh, wenn endlich mal die erste Abmahnung für Urheberrechtsverletzungen auf 50€ gedeckelt wird. Egal ob gewerblich oder privat.

Du hast erzählt, dass du ein Profil bei Facebook hast. Wie stellst du dich dort selber dar? Wer darf sich alles dein Profil anschauen?

Keine Ahnung, muss ich gleich mal nachsehen, ob ich da was eingestellt habe. Ich stelle mich dort als Internetfuzzi mit Hang zu Hamburg und Berlin dar.

Hast du das Gefühl, dass du dich zu anderen im Internet anders, vielleicht offener und direkter, als wenn sie in natura vor dir stehen?

Das ich mich im Internet zu anderen was mache? Verhalte?
Anders bestimmt. Ich bin in Internet größtenteils nicht abmahnfähig. Im echten Leben schon, ein Abend mit den Jungs bei zwei, drei Bier und ich könnte eine halbe Kanzlei mit Beleidigungen und sonstigem Quatsch beschäftigen. Ich schimpfe gerne, bin manchmal sehr direkt und fliege damit regelmässig auf die Fresse. Im Internet bin ich etwas höflicher, hauptsächlich aus finanziellen Gründen. Ausserdem lesen sich Texte ohne Schimpfwörter meisten besser.

Ein bekannter Wissenschaftler hat einmal gesagt: „Das Internet vergisst nie.” Was meinst du, hat er damit gemeint?

Wer war das? Oh, blöd, hat das Internet das vergessen? Was wollte ich jetzt schreiben? Habe ich vergessen.

Das mit dem nie ist totaler Quatsch. Meine ersten Webseiten sind schon lange „vergessen“ im Sinne von Offline. Gesamt Geocities ist seit ein paar Tagen weg und vergessen. ich weiß nicht, was mit meinem Kram, der zur Zeit im Netz zu finden ist, in 5 Jahren passiert. Ob es dann dieses StudiVZ noch gibt? Die haben sich die letzten Jahre kaum geändert, ob die das nochmal 5 Jahre durchhalten oder einfach abgeschaltet werden?

Ich finde die aktuelle Entwicklung mit „der Staat vergisst nie“ dann doch bedrohlicher. Vorratsdatenspeicherung mal als Stichwort. Das wird sicherlich nicht besser in den nächsten Jahren.

Hast du dir schonmal Gedanken darüber gemacht, dass dein Arbeitgeber dich dann vielleicht vor dem Bewerbungsgespräch googelt und dabei peinliche Fotos von dir findet?

Ja, habe ich. Ich habe einmal einem potentiellen Arbeitgeber als Bewerbung einen Link zu meinem Namen als Google-Suche geschickt. Fand er ganz aufregend, hatte er von 99% der danach sichtbaren Dinger noch nie etwas gehört.

Ich hoffe, die Fotos von mir sind nicht zu peinlich, aber ich finde es schon stulle, was die Leute da teilweise online stellen. Ich will mich nicht zum Deppen machen, online wie offline.

Die „Generation Internet”, der du ja angehörst, unterscheidet sich auch deshalb von früheren Generationen, weil es für sie ganz normal ist, Kontakte übers Internet zu knüpfen. Wahrscheinlich hast du auch schon Leute übers Internet kennengelernt. Wie kam es zu den Kontakten und habt ihr euch auch in der „realen Welt” schon einmal getroffen?

Na klar habe ich schonmal Leute aus dem Internet getroffen. Inzwischen dürften es ein paar Hundert sein. Ich kann mir aber nie merken wie sie heissen, die Unterschiede zwischen Twitter-Nickname, Blogname, Blog-Autorenname und Klarname sind bei einigen einfach zu groß.

Auf Konferenzen, Barcamps, beim Podcasten, irgendwelchen Twitter-Dingsbums oder einfach nur auf nen Kaffee oder zum Bier – ich treffe mich regelmässig mit Leuten die ich im Prinzip ausschliesslich aus dem Internet kenne.

Ich mache das ja schon ein paar Jahre. Aus anfänglich losen Bekanntschaften die auf „ich lese dein Blog“ und Mailverkehr bestanden sind echte Freundschaften entstanden.

Hattest du vor Bloggertreffen Angst, dass sich in Wirklichkeit ganz andere Personen hinter den Bloggern verbergen als du erwartet hast?

Nö. Wieso?

Du bist erstaunlich gut über Problemfelder im Internet und Verhaltensregeln informiert. Woher hast du dein Wissen, wenn du es nicht in der Schule oder von deinen Eltern gelernt hast?

Von Google? Keine Ahnung. Ich weiß es nicht.

Sven, herzlichen Dank für das Gespräch!

gerne.

die fragen stammen ursprünglich von anja assion und wurden teilweise von Felix modifiziert.

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6 Gedanken zu „Interview mit einem „digital native“ Hamburg und Berlin“

  1. Auf den C 64-2018 den HYF zum 10. bekommt, bin ich heut schon gespannt !, vermutlich im Jackenärmel integriert, mit Gedankenlesen was die „Alten“ bereit sind dafür auszugeben und sofortiger Dosierung von Argumenten für Überzeugungsarbeit, oder gibt es dann wieder so Dinge wie „Modell-Eisenbahn“ ?

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